Gedicht des Monats Januar

Wohnung

Im Kopfsalat

da wohnt die Schnecke

Die Anna

die wohnt um die Ecke

 

Der Bandwurm

wohnt im Darm

(da hat er es schön warm)

 

Ein Nagetier

wohnt hier bei mir

 

Der Frauenheld

wohnt im Roman

Der Geist

wohnt in der Geisterbahn

 

Im Zeugnis wohnt

die Dreibisvier

Der falsche Ton wohnt im Klavier

 

Der Strom wohnt

in der Batterie

Du wohnst ...

in meiner Fantasie.

 

 

Jürgen Spohn (1934 - 1992)


Gedicht des Monats September

Die Vogelscheuche

Die Raben rufen: „Krah, krah, krah!
Wer steht denn da, wer steht denn da?


Wir fürchten uns nicht, wir fürchten uns nicht
vor dir mit deinem Brillengesicht.

 

Wir wissen ja ganz genau,
du bist nicht Mann, du bist nicht Frau.

 


Du kannst ja nicht zwei Schritte gehn

und bleibst bei Wind und Wetter stehn.

 

Du bist ja nur ein bloßer Stock,
mit Stiefeln, Hosen, Hut und Rock.
Krah, krah, krah!"

 

Christian Morgenstern
(1871 – 1914)


Gedicht des Monats Juni

Das Auto hier heißt Ferdinand

Dies Auto hier heißt Ferdinand und steht an einem Bergesrand.*

Es will den Berg besteigen und sich den Leuten zeigen.

 

Da kommt das Taxi Sieben den Ferdinand zu schieben.

 

Das Auto von der Post sagt: „Ach, die beiden sind ja viel zu schwach. Ich will das Taxi Sieben und auch den Anderen schieben."

 

Das Auto von der Feuerwehr kommt hier mit sieben Mann daher und hätte fast bis oben die anderen Drei geschoben.

 

Der Traktor von dem Bauer Nolte steht hier, weil er auch schieben wollte und hat mit seiner riesen Kraft sie alle auf den Berg geschafft.

 

Doch oben stürzt der Ferdinand hinunter übern Bergesrand und von der steilen Höh' in einen tiefen See.

 

Das stand ein Pferd am Wegesrand und rettete den Ferdinand.

 

Janosch (*1931)

*Danke an den aufmerksamen Leser, dem der Text- Fehler aufgefallen ist ! Echt jetzt ! ;-)


Gedicht des Monats April

Der Osterhase

Feldhase
Feldhase

Unterm Baum im grünen Gras
Sitzt ein kleiner Osterhas' !
Putzt den Bart und spitzt das Ohr,
Macht ein Männchen, guckt hervor.

Springt dann fort mit einem Satz
Und ein kleiner frecher Spatz
Schaut jetzt nach, was denn da sei.
Und was ist's ?

Ein Osterei !

 

(unbekannter Autor)

 


Gedicht des Monats März

Er ist's

Frühling lässt sein blaues Band

Wieder flattern durch die Lüfte;

Süße, wohlbekannte Düfte

Streifen ahnungsvoll das Land.

Veilchen träumen schon,

Wollen balde kommen.

Horch, von fern ein leiser Harfenton!

Frühling, ja du bist's !

Dich hab' ich vernommen !

Eduard Mörike (1804 - 1875)

wohlbekannte = kennt man schon genau

streifen = etwas sanft berühren

ahnungsvoll = man vermutet, was kommen wird

Veilchen = eine kleine, zarte, lila-blaue Blume

Harfe = ein großes Zupf- Instrument mit vielen senkrechten Saiten

vernommen = gehört, bemerkt


Gedicht des Monats Februar

Dunkel war's, der Mond schien helle

Dunkel war's, der Mond schien helle,
schneebedeckt die grüne Flur.
Als ein Wagen blitzeschnelle
langsam um die Ecke fuhr.

 

Drinnen saßen stehend Leute,
schweigend ins Gespräch vertieft,
als ein totgeschoss'ner Hase
auf der Sandbank Schlittschuh lief.

 

Und auf einer roten Bank,

die blau angestrichen war,
saß ein blondgelockter Knabe
mit kohlrabenschwarzem Haar.

 

Droben auf dem Apfelbaume,
der sehr süße Birnen trug,
hing des Frühlings letzte Pflaume,
und an Nüssen noch genug.

 

Von der regennassen Strasse
wirbelte der Staub empor.
Und ein Junge bei der Hitze
mächtig an den Ohren fror.

 

Beide Hände in den Taschen.
hielt er sich die Augen zu.
Denn er konnte nicht ertragen,
wie nach Veilchen roch die Kuh.

 

(unbekannter Autor)


Gedicht des Monats Januar

Gedicht zum Neuen Jahr

Ein bisschen mehr Friede und weniger Streit,
Ein bisschen mehr Güte und weniger Neid,


Ein bisschen mehr Liebe und weniger Hass,
Ein bisschen mehr Wahrheit -

Das wäre doch was !

 

Statt so viel Unrast

ein bisschen mehr Ruh′,

Statt immer nur "Ich"

ein bisschen mehr "Du",


Statt Angst und Hemmung

ein bisschen mehr Mut
Und Kraft zum Handeln -

Das wäre gut !

Kein Trübsal und Dunkel,

ein bisschen mehr Licht,
Kein quälend' Verlangen,

ein bisschen Verzicht,


Und viel mehr Blumen,

solange es geht,
Nicht erst auf Gräbern -

Da blüh′n sie zu spät !

 

(1843 - 1918)

Güte = Alle Menschen lieb und freundlich behandeln und ihnen verzeihen.

Unrast = Eine innere Unruhe haben und immer beschäftigt sein wollen.

Hemmung = Man traut sich nicht, etwas zu tun oder zu sagen.

Trübsal = Alle Dinge, die einen traurig machen.

Verlangen = Wenn man etwas unbedingt haben oder machen will.

Verzicht = Wenn man den Wunsch aufgibt, etwas Bestimmtes haben oder machen zu wollen.


Gedicht des Monats Dezember

Das Christkind

Denkt euch,

ich habe das Christkind gesehen!
Es kam aus dem Walde,
das Mützchen voll Schnee,
mit rotgefrorenem Näschen.


Die kleinen Hände taten ihm weh,
denn es trug einen Sack, der war gar schwer,
schleppte und polterte hinter ihm her.

 

Was drin war, möchtet ihr wissen?
Ihr Naseweise, ihr Schelmenpack –
denkt ihr, er wäre offen der Sack?


Zugebunden bis oben hin!
Doch war gewiss etwas Schönes drin!
Es roch so nach Äpfeln und Nüssen!

 

Anna Ritter (1865 - 1921)

Gedicht des Monats November

November

Solchen Monat muss man loben:
Keiner kann wie dieser toben,
Keiner so verdrießlich sein
Und so ohne Sonnenschein !

Keiner so in Wolken maulen,
Keiner so mit Sturmwind graulen !

Und wie nass er alles macht !
Ja, es ist die wahre Pracht.

 

Seht das schöne Schlackerwetter !
Und die armen welken Blätter,
Wie sie tanzen in dem Wind
Und so ganz verloren sind !


Wie der Sturm sie jagt und zwirbelt
Und sie durcheinander wirbelt
Und sie hetzt ohn' Unterlass:
Ja, das ist Novemberspaß !

 

Und die Scheiben, wie sie rinnen !
Und die Wolken, wie sie spinnen
Ihren feuchten Himmelstau
Ur und ewig, trüb und grau !


Auf dem Dach die Regentropfen:
Wie sie pochen, wie sie klopfen !
Und an jeder Traufe hängt
Trän' an Träne dicht gedrängt.

 

O, wie ist der Mann zu loben,
Der solch unvernünft'ges Toben
Schon im voraus hat bedacht
Und die Häuser hohl gemacht !


So dass wir im Trocknen hausen
Und mit stillvergnügtem Grausen
Und in wohlgeborgner Ruh
Solchem Greuel schauen zu !

 

Heinrich Seidel (1842-1906)


Poem of the month of october

Incy Wincy Spider

Incy Wincy Spider went up the water spout.
Down came the rain and washed the spider out.
Out came the sun and dried up all the rain.
So Incy Wincy Spider went up the spout again.

Incy Wincy Spinne kletterte das Regenrohr hinauf.

Herunter kam der Regen und wusch die Spinne hinaus.

Heraus kam die Sonne und trocknete all den Regen.

Daher kletterte Incy Wincy Spinne nochmals das Regenrohr hinauf.


And how it went on with the spider, can be found here:

Und wie es mit der Spinne weiterging, findest du hier:



Gedicht des Monats Juli

Sie war ein Blümlein

Kleines Wiesenvögelchen mit Biene auf Sonnenhut
Kleines Wiesenvögelchen mit Biene auf Sonnenhut

Sie war ein Blümlein hübsch und fein,

hell aufgeblüht im Sonnenschein.

Er war ein junger Schmetterling,

der selig an der Blume hing.

Oft kam ein Bienlein mit Gebrumm

und nascht und säuselt da herum.

Oft kroch ein Käfer kribbelkrab

am hübschen Blümlein auf und ab.

Ach Gott, wie das dem Schmetterling

so schmerzlich durch die Seele ging.

Doch was am meisten ihn entsetzt,

das Allerschlimmste kam zuletzt:

Ein alter Esel fraß die ganze

von ihm so heiß geliebte Pflanze!

 

Wilhelm Busch (1832-1908)

Esel
Esel

Gedicht des Monats Juni

Das ästhetische Wiesel

Großes Wiesel oder auch Hermelin
Großes Wiesel oder auch Hermelin

Ein Wiesel

saß auf einem Kiesel

inmitten Bachgeriesel.

 

Wisst ihr

weshalb?

 

Das Mondkalb

verriet es mir

im Stillen:

Das raffinierte Tier

tat's um des Reimes willen.

 

Christian Morgenstern (1871-1914)

Bachgeriesel mit Kiesel ohne Wiesel
Bachgeriesel mit Kiesel ohne Wiesel

(ästhetisch = Das Wiesel hat einen Sinn für alles Schöne und Harmonische.

raffiniert = pfiffig, schlau, klug)


Gedicht des Monats Mai

5. Streich (aus: Max und Moritz)

Wer in Dorfe oder Stadt einen Onkel wohnen hat, der sei höflich und bescheiden, denn das mag der Onkel leiden. Morgens sagt man: »Guten Morgen! Haben Sie was zu besorgen?« Bringt ihm, was er haben muß: Zeitung, Pfeife, Fidibus. Oder sollt' es wo im Rücken drücken, beißen oder zwicken, gleich ist man mit Freudigkeit dienstbeflissen und bereit. Oder sei's nach einer Prise, daß der Onkel heftig niese, ruft man: »Prosit!« alsogleich. »Danke!« - »Wohl bekomm' es Euch!« Oder kommt er spät nach Haus, zieht man ihm die Stiefel aus, holt Pantoffel, Schlafrock, Mütze,

daß er nicht im Kalten sitze - Kurz, man ist darauf bedacht, was dem Onkel Freude macht. Max und Moritz ihrerseits fanden darin keinen Reiz. Denkt euch nur, welch schlechten Witz machten sie mit Onkel Fritz!

Jeder weiß, was so ein Maikäfer
für ein Vogel sei.
In den Bäumen hin und her
Fliegt und kriecht und krabbelt er.

Max und Moritz, immer munter,
Schütteln sie vom Baum herunter.
In die Tüte von Papiere
Sperren sie die Krabbeltiere.

Fort damit und in die Ecke
Unter Onkel Fritzens Decke!
Bald zu Bett geht Onkel Fritze
In der spitzen Zippelmütze;

Seine Augen macht er zu,
Hüllt sich ein und schläft in Ruh.
Doch die Käfer, kritze, kratze!
Kommen schnell aus der Matratze.

Schon faßt einer, der voran,
Onkel Fritzens Nase an.
"Bau!" schreit er. "Was ist das hier?"
Und erfaßt das Ungetier.

Und den Onkel, voller Grausen,
Sieht man aus dem Bette sausen.
"Autsch!" - Schon wieder hat er einen
Im Genicke, an den Beinen;

Hin und her und rundherum
Kriecht es, fliegt es mit Gebrumm.
Onkel Fritz, in dieser Not,
Haut und trampelt alles tot

Guckste wohl, jetzt ist's vorbei
Mit der Käferkrabbelei!
Onkel Fritz hat wieder Ruh
Und macht seine Augen zu.

 

Wilhelm Busch (1832 - 1908)


Gedicht des Monats April

Das Oster- ABC

Alle Vögel singen schon,

Blumen blühn im Garten,

Crocus, Veilchen, Anemon,

Die verschämten, zarten.

 

Eine Amsel schwatzt vom Mai,

Ferne blasen Hörner,

Glocken läuten nahebei,

Hühnchen suchen Körner.

 

Ida flicht sich einen Kranz,

Jakob neckt ein Zicklein,

Küsters Frieda träumt vom Tanz,

Ludwig macht sich piekfein.

 

Mutter Margaretha fährt

Nobel zur Kapelle.

Ottokar, der Mops, verzehrt

Plätzchen auf der Schwelle.

 

Quicklebendig wird's im Haus:

Ruth und Xaver Meier

Suchen fleißig drin und drauß

Taubenblaue Eier.

 

Unterm Bett, in Uhr und Hut,

Vase, Topf und Lade

Wühlen sie. Da findet Ruth

Xavers Schokolade.

 

Ypsilon, ist das nicht nett?

Zett!

 

James Krüss (1926-1997)